Ein Lächeln, eine passende Begrüßung, der Aufbau einer Kommunikation: die Begegnung ist das große Geheimnis sozialer Kompetenz. Es ist eine Kunst, aus Fremdheit – Bekanntheit, aus Differenz eine gemeinsame Ebene aufzubauen. Komischer Weise wird diese wichtige Kunst oft nur dann trainiert, wenn sich Menschen auf einen Auslandsaufenthalt vorbereiten. Das muss sich ändern!

Mehr als internationale Konfliktlösung

Bei internationalen Begegnungen wird oft eine größere Befremdung erwartet. Doch können Begegnungen im eigenen Land ebenso verwirrend und beängstigend sein.

Fast täglich erleben wir Begegnungen mit Befremdungen, z.B. auf einer neuen Arbeitsstelle, als Klassik-Liebhaber auf einem Heavy-Metal-Konzert oder als Raucher in einer Nichtraucherkneipe

Menschen, die im Ausland auf Landsleute treffen, kennen das vielleicht. Auch wenn die gemeinsame Sprache Kommunikation zulässt kann es zu erheblicher gegenseitigen Befremdung kommen:

Begriff der kulturellen Befremdung öffnen

Die Sensibilisierung für menschliche Begegnungen ist daher nicht nur eine sinnvolle Vorbereitung für den Auslandaufenthalt, sondern auch eine Chance für den bewussten Umgang mit Befremdung, Ängsten und Missverständnissen in unserem Begegnungsalltag. Bei der “Kunst der Begegnung” geht es um jegliche Form von Befremdung. Befremdung hat viel mit Uneindeutigkeit und Kontrollverlust zu tun. Das Fachwort dafür ist Ambiguität.

Ambiguität-Sicher Fremd sein

Ambiguität ist das Gefühl des partiellen Kontrollverlustes, kurz, der Befremdung.

In unserem Leben lösen alle Formen von Wandlungen (neue Situationen, neue Orte, neue Menschen) diese Befremdung aus. Oft sind für uns damit Unsicherheit, Unwohlsein und Stress verbunden. Dabei bieten gerade diese Ambiguitätsmomente ein sehr hohes Lernpotential.

Die bewusste Beschäftigung mit der eigenen Befremdung ist der Schlüssel zur angstfreien Begegnung mit dem Neuen. Da jeder Mensch bei jeder Begegnung mit Ambiguität umgehen muss, ist sie eine unbewusste Alltagskompetenz, die bewusst gemacht, reflektiert und gestärkt werden kann.

Der Aufbau einer bewussten Ambiguitätstoleranz ist für mich ein Schlüsselelement beim Aufbau einer Begegnungskompetenz. Der Auslandaufenthalt bringt oft tatsächlich eine übergangsweise Befremdung mit sich. Aber solche sogenannten Übergänge, d.H. Phasen der Unsicherheit, erleben wir auch im Inland.

Anpassungsprozesse bezüglich neuer Orientierungssysteme

(Übergänge) finden nicht nur in einem neuen Land, sondern auch in einem neuen Team, neuem Wohnort, neuem Tätigkeitsbereich, einer Begegnung mit einer anderen Alters- oder Freizeitkultur usw. statt. Diese sind einerseits mit Ambiguitätserfahrungen und den oft mit daraus resultierenden Unsicherheitserfahrungen, Stress und Konflikten verbunden. Andererseits bieten sie überproportionale Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten: Diese Übergänge sind mehr als eine Metapher. Sie sind ein klassisches Symbol der Wandlung und somit des Werdegeschehnisses. Sie markieren seit jeher das Ende einer Statik und das Aufbrechen in Unsicherheit. Wachstum – innen wie außen […] sind in ihnen versinnbildlicht.1

Peter Stöger

Übergänge können als Durchgangsstadien definiert werden, in welchen das Individuum seine neue soziale Rolle finden und Regeln des neuen Systems erkennen und umsetzen muss. Übergänge zeichnen sich durch eine hohe Anzahl an Stimuli aus, welche entweder neu sind oder deren man entwöhnt ist. Jeder Mensch ist im Laufe seines Lebens mit verschiedensten Übergängen konfrontiert. Neue Beziehungskonstellationen, sowie berufliche und familiäre Veränderungen münden in Situationen des Übergangs.

Dies sind Zustände, die, ähnlich wie beim Kulturschock, etablierte Orientierungssysteme ins Wanken bringen und deshalb nach neuen verlangen. Übergänge beinhalten in dieser Weise immer das Potential der Veränderung, aber auch die Gefahr der Destabilisierung. […] Durch Übergänge werden Themen der eigenen Identität und der Zugehörigkeit wieder aufgeworfen und müssen in der Folge bewältigt werden.2

Margret Steixner

Übergänge sind Phasen in denen wir die Kontrolle teilweise verlieren, es sind Zeiten, in denen wir uns mit Unsicherheiten, Uneindeutigkeiten, kurz mit Ambiguität auseinander setzen müssen.

Wir sind alle schon Kompetent

Die “Kunst der Begegnung” muss also die Basis der menschlichen Befremdung verstehen und diese in ihre Bildungsprozesse miteinbeziehen. Im Gegensatz zu eher künstlichen Szenarien der interkulturellen Bildung haben wir hier allerdings einen Vorteil: Jeder Mensch bringt in unsere Trainings schon einen dicken Rucksack an Begegnungs- und Befremdungserfahrungen mit. Es geht hier also nicht um das schlichte Vorbereiten von Begegnungen, sondern um die Stärkung der sozialen Persönlichkeit und den weiteren  Aufbau einer Begegnungskompetenz.

wir sind immer schon kompetent
  1. Stöger, Peter (2000): Wo liegt Afrika? Pädagogisch-anthropologische Grundpositionen zum Nord-Süd-Dialog, Frankfurt. S. 25-26.
  2. Steixner, Margret (2007), Lernraum Interkultur, Von interkultureller Erfahrung zu interkultureller Kompetenz, in: ÖFSE-Magazin Forum, 34, Wien. S.104-105

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