Kulturdimensionen sind das Lieblingsbaby von interkulturellen Vorbereitungstrainings auf den Auslandaufenthalt. Besonders zur Vorbereitung von Geschäftsreisen scheinen sie sich zu eignen. Übersichtlich, klar und konkret erklären sie, wie die anderen Nationen so drauf sind. Die kulturvergleichenden Modelle haben nur einen Haken – sie sind so einfach, das sie einfach falsch sind!

Was die Beschreibung kultureller Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern angeht, werden oft die makroanalytischen Ansätze von Edward T. Hall, Geert Hofstede und Fons Trompenaars oder mikroanalytische Versuche im Rahmen der Kulturstandardforschung von Alexander Thomas verwendet. Diese weisen Nationalkulturen typische Charakteristika und Positionen auf Eigenschaftsskalen zu.

gefährliche Vereinfachungen....?
Übersicht von verschiedenen Kulturdimensionen nach Apfelthaler, G.: Interkulturelles Management, Wien 1999.

 

Wissenschaftlich umstritten!

Diese sogenannten Kulturdimensionen und Zuschreibungen von bestimmten Kulturstandards sind bis heute wissenschaftlich höchst umstritten und kaum empirisch belegt.1

Fast alle kulturvergleichenden Modelle basieren beispielsweise auf einem unausgereiften sozialogischen Instrumentarium zur Untersuchung kulturbedingter Unterschiede. Max Kaase  z.B. bezeichnet die international vergleichende Sozialforschung als “keineswegs befriedigend”.2

Klaus Peter Hansen geht noch weiter, er bezeichnet das Dimensionsmodell Hofstedes als “Machwerk” und “Katastrophe” für die moderne Kulturwissenschaft: Er [Hofstede] versündigt sich an allen Fortschritten, die seit den sechziger Jahren erzielt wurden. […] Die Griffigkeit, die Hofstedes Kulturbegriff vorgaukelte, weckte […] große Hoffnungen auf Operationalisierung, die sich aber nicht erfüllten.3

umstritten aber verkaufstüchtig ... das Lewis Modell
Umstritten aber verkaufstüchtig … das Lewis Modell
Vereinheitlichungen und Kulturalisierungen

Nach Hansen stellen die Vergleichspole unzulässige Vereinheitlichungen dar. Kulturen – vor allem Nationalkulturen, um die es bei den Vergleichen geht – seien keine homogenen, sondern höchst heterogene und differente Gebilde.4

Mit dieser Meinung steht Hansen in der modernen Kulturwissenschaft nicht allein, denn auch Autoren wie Ulrich Beck und Clifford Geertz lehnen die Vereinheitlichung von Nationalkulturen ab. Pauschal, so Hansen, ließen sich Nationen nicht vergleichen, höchstens in engeren Erscheinungsformen. Es mache keinen Sinn, die Ausländerfeindlichkeit in England und Deutschland zu messen, da diese Einstellung mehr vom Bildungsgrad abhängt als von der Nationalität. Denkbar wäre aber ein Vergleich der Ausländerfeindlichkeit von englischen und deutschen Arbeitern. Auch dieser grundsätzliche Zweifel am Erkenntnisgewinn von Nationenvergleichen wiegt schwer.

Das makroanalytische Arbeiten mit Kulturdimensionen führt zu Übergeneralisierungen: Man erhält abstrakte Durchschnittswerte, die über konkrete Individuen und konkretes alltagskulturelles Verhalten innerhalb einer Kultur und erst recht über interkulturelles Handeln nichts aussagen.5

Windige Kultur-Ratgeber

Bei den „interkulturellen“ Seminaren und Ratgebern mischen Klischees, Stereotype mit wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Erklärungsmustern. Was dabei herauskommt ist leider oft eine weitere Form von Kulturalisierung, d.h. der Versuch einzelne Menschen über ihre Herkunftskultur zu definieren und zwar allein über ihre Herkunftskultur!

über deutsche und südländische Kulturen ...
Darstellung aus: Dagmar Kumbier/ Friedemann Schulz v. Thun (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation. Modelle, Methoden, Beispiele, Hamburg 2008, S. 21

Das solche Ratgeber in den allermeisten Fällen wissenschaftlich und praktisch gesehen haarsträubend sind, weißt z.B. Michael Poerner in seiner Untersuchung von China-Ratgebern für deutsche Geschäftsleute nach.6

Fazit

In Ihrer Untersuchung zur Anwendbarkeit von Kulturdimensionen (z.B. in Bezug auf deutsch-thailändische Begegnungen) kommt Stephanie Rathje zu dem Schluss:

Eingeschränktes kulturelles Verständnis, wie es Dimensionsmodelle vermitteln, kann zu unwirksamen, ja hinderlichen Handlungsstrategien führen. Wenig kulturelles Verständnis erweist sich in diesem Fall als genauso schlecht, oder sogar schlechter, als gar keins. 7

Vielleicht müssen wir uns von einfachen Modellen trennen, denn Menschen und die menschliche Begegnung ist sehr komplex. Der Ansatz der radikalen Individualität betrachtet z.B. mehr als eine kulturelle Prägung für das Verhalten und die Merkmale eines Menschen.


  1. Vgl. z.B. Fang, Tony (2003): A Critique of Hofstede’s Fith National Culture Dimension, International Journal of Cross Cultural Management 2003 (3), S. 347-368; Rathje, Stefanie (2003): Ist wenig kulturelles Verständnis besser als gar keins? Problematik der Verwendung von Dimensionsmodellen zur Kulturbeschreibung, Interculture Journal 2003 (4), Online-Dokument: http://www.interculture-journal.com/; Haas, Helene (2007): Probleme der kulturvergleichenden Umfrageforschung, Interculture Journal 2007 (5), Online-Dokument: http://www.interculture-journal.com/
  2. Kaase, Max (Hrsg.) (1999): Qualitätskriterien der Umfrageforschung,  Berlin, S. 59
  3. Hansen, Klaus P. (2000): Kultur und Kulturwissenschaft, Paderborn S. 285
  4. Hansen, Klaus P. (2007): Kritische Überlegungen zum interkulturellen Paradigma, in: Kuhn, B./Pitz, M./Schorr, A. (Hrsg.): „Grenzen“ ohne Fächergrenzen, S. 149-178, hier S. 169
  5. Bolten, Jürgen (2001): Kann man Kulturen beschreiben oder erklären, ohne Stereotypen zu verwenden? Einige programmatische Überlegungen zur kulturellen Stilforschung, in: Bolten, Jürgen/Schröter, D. (Hrsg.) (2001):  Im Netzwerk interkulturellen Handelns – Theoretische und praktische Perspektiven der interkulturellen Kommunikationsforschung, S.128-142, hier S. 130
  6. Poerner: China-Knigge für deutsche Geschäftsleute? Die Darstellung Chinas in interkultureller Ratgeberliteratur, Interculture Journal 2009 (9), Online-Dokument: http://www.interculture-journal.com/
  7. Rathje, Stefanie (2003)