Menschen aus dem östlichen Europa erleben in Deutschland vielfach Diskriminierung und Ausgrenzung. Im öffentlichen Bewusstsein und in aktuellen antirassistischen Debatten stellen ihre Erfahrungen jedoch einen weitgehend blinden Fleck dar.1

Antiosteuropäischer- und Antislawischer Rassismus

Antiosteuropäischer Rassismus ist ein Bündel abwertender Zuschreibungen zum geografischen Raum Mittel- und Osteuropa, dem Balkan und seinen Bewohner:innen.2

Antislawischer Rassismus, Slawenfeindlichkeit oder Antislawismus beschreiben eine Form von Rassismus, die sich auf den rassistischen Diskurs bezieht, der seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts „Slawen“ als eine eigene, minderwertige „Rasse“ konstruiert.3

Antislawischer Rassismus richtet sich entweder gegen alle Slawen oder gegen einzelne slawische Ethnien, wenn diese als Bestandteil einer vermeintlichen slawischen Rasse wahrgenommen werden.

Bei beiden Rassismusformen geht es jeweils um Fremdzuschreibungen, die nicht den Selbstbeschreibungen der Menschen entsprechen, die damit gemeint sind.

Wer ist vom Antiosteuropäischen Rassismus betroffen?

Antislawischer bzw. Antiosteuropäischer Rassismus kann sich pauschal gegen die Bevölkerung von Ländern wie Polen, Tschechien, Russland, Ukraine, Serbien, Bulgarien usw. richten oder gegen Menschen, denen die nationale oder ethnische Zugehörigkeit zu einem dieser Länder zugeschrieben wird.

Menschen mit Migrationsgeschichte aus dem östlichen Europa machen mit über 9,5 Millionen rund 40 Prozent aller in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund und rund ein Neuntel der Gesamtbevölkerung aus.

Chart: Mediendienst Integration, Quelle: Statistisches Bundesamt (2023) Get the data Erstellt mit Datawrapper

White but not quite

Rassismus wird häufig als ein „weißes“ Phänomen gedacht, von dem ausschließlich „People of Color“/BIPOCs (Black, Indigenous, People of Color) betroffen sind. Entsprechend könnten „weiße“ Menschen keinen Rassismus erleiden. Im Verständnis der Critical Whiteness Studies beziehen sich die Kategorien „schwarz“ und „weiß“ allerdings nicht nur auf Äußerlichkeiten, sondern sie bezeichnen Zuschreibungen und gesellschaftliche Machtverhältnisse. Dennoch wird Rassismus oft auf Äußerlichkeiten reduziert und bei betroffenen Menschen aus Mittel-Osteuropa nicht als solcher wahrgenommen.

Weiße Menschen können keinen Rassismus erfahren, heißt es. Das verkennt die Realität von Osteuropäer:innen und/oder Slaw:innen. Sie erfahren Rassismus, nicht weil, sondern obwohl sie weiß sind.4

Mangelndes Bewusstsein für Antiosteuropäischen Rassismus

In Deutschland mangelt es an Bewusstsein für Rassismus gegen Menschen mit Bezügen zu Osteuropa und Russland, das zeigt eine Befragung des Nationalen Rassismusmonitors:

Am seltensten werden Situationen als rassistisch wahrgenommen, wenn es osteuropäische Menschen betrifft (44 % stimmen „voll und ganz“, 26 % „eher“ zu). Dies kann daran liegen, dass osteuropäische Menschen als „weiß“ gelesen werden und Rassismus vor allem als etwas wahrgenommen wird, dass „nichtweiß“ markierte Menschen betrifft. Das Bewusstsein, dass es antislawischen Rassismus gibt, mag zudem im kollektiven Wissensarchiv nicht so stark präsent sein.

Mit der Ausweitung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 erfahren antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus verstärkt Aufmerksamkeit. Anfeindungen russischsprachiger Menschen in Deutschland sind real, wurden aber auch instrumentalisiert.

Jannis Panagiotidis/Hans-Christian Petersen 5

Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus sind noch kein selbstverständlicher Bestandteil der Diskussionen über Rassismus in Deutschland. Es mangelt an Bewusstsein für die Bedeutung des Themas. Notwendig, so Mark terkessides, ist eine „Osterweiterung der Erinnerung“ und damit auch der Rassismusdebatte.6

Eine Fassade mit der Aufschrift Ost, als Symbolbild

Woher kommt der Antisosteuropäische Rassismus?

Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus sind tief in der deutschen Geschichte verwurzelt. Schon in der Aufklärung galt „Osteuropa“ im westlichen Denken als eine rückständige Zwischenwelt zwischen dem Westen und dem „Orient“.

Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gingen Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus mit einem kolonialen Verhältnis Deutschlands zu Osteuropa einher.

Im pseudo-wissenschaftlichen rassistischen Diskurs, der sich seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte, wurden speziell die „Slawen“ als eine eigene „Rasse“ konstruiert, deren „Weißsein“ zwar nicht in Frage stand, die aber dennoch als minderwertig konstruiert wurden.

Geschichtlich zeigt sich ein kontinuierliches, aber nicht lineares Bild von Antislawismus in Bezug auf die als homogen vorgestellte Gruppe der „Slawen“. Auch der Inhalt der Vorurteile wandelte sich. Je nach historischen Machtverhältnissen bzw. staatlichen Kooperationen richtete er sich gegen verschiedene Bevölkerungsgruppen östlich des Deutschen Kaiserreichs (z.B. gegen Pol:innen, Tschech:innen, Menschen aus dem „Balkan“-Raum etc.).

Seinen Höhenpunkt erreichte der Antislawische Rassismus in der NS-Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg. Die rassistischen Hierarchisierungen diente zur Legetimation deutscher Expansionsprojekte, wie dem „Generalplan Ost“ des NS-Regimes. Neben der jüdischen Bevölkerung, die fast vollständig vernichtet wurde, war der slawischen Bevölkerung darin die Rolle von rassisch minderwertigen Sklaven zugewiesen. Außerdem legitimierte die rassistische Hierarchisierung im Nationalsozialismus die Ausbeutung von Millionen sogenannten „Ostarbeiter“, die im Deutschen Reich unter unmenschlichen Bedingungen Zwangsarbeit verrichteten, durch den Aufnäher „Ost“ stigmatisiert wurden und denen es verboten war, sexuelle Beziehungen mit der „arischen“ Bevölkerung einzugehen.

Mit den so genannten Polen-Erlassen, schuf die nationalsozialistische Regierung ein Sonderrecht für polnische Zwangsarbeiter:innen. Sie mussten sich mit einem ein „P“ deutlich sichtbar kennzeichnen. Die rassistisch begründete Vorstellung von einer Minderwertigkeit der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen aus Polen war ein herausstechendes Merkmal dieser Anordnungen, welche ab Februar 1942 mit den „Ostarbeiter Erlassen“ auf sowjetische Kriegsgefangene und Zivilarbeiter und Deportierte ausgeweitet wurde.

Über Jahrzehnte kultivierte negative Stereotype vom „Osten“

Antikommunismus, „Polenwitze“, die restriktive Handhabung von Migration im Zusammenhang der EU-Osterweiterung und rassistische Gewalt gegen osteuropäische Migrant:innen sprechen dafür, dass antiosteuropäische und antislawische Ressentiments bis heute wirkmächtig sind.

Jannis Panagiotidis/Hans-Christian Petersen7

Zu den negativen Stereotypen über Menschen aus Mittel-Osteuropa tragen auch die Osteuropabilder der westlichen Popkultur bei. Wer einmal darauf achtet, merkt schnell, wie viele Bösewichte osteuropäisch oder russisch sind: vom Animationsfilmen wie „Pets 2“ über „James Bond“ und „Stirb langsam“ bis hin zu „The Grand Budapest Hotel“. Auch im Tatort haben auffallend viele Kriminelle einen slawischen Akzent.

Aber auch die Medienberichterstattung in Deutschland über osteuropäische Staaten ist oft wenig differenziert und von einer gewissen Überheblichkeit gekennzeichnet, die auch „Westsplaining“ genannt wird.

Post-Ost-Community gegen antiosteuropäische Stereotype

Mittlerweile sprechen immer mehr Vertreter:innen betroffener Gruppen öffentlich über antiosteuropäischen und antislawischen Rassismus: Junge Aktivist:innen, die sich als „PostOst“ bezeichnen, erzählen auf Social Media über ihre Erfahrungen. Auch in der Literatur schreiben Autor:innen wie Lena Gorelik, Dmitrij Kapitelman oder Natascha Wodin über ihr Leben in Deutschland, aber auch darüber, wie sie Ablehnung bis hin zu Rassismus erfahren haben.

Texte zu Antiosteuropäischen und Antislawischen Rassismus

Literatur zu Antiosteuropäischen und Antislawischen Rassismus

  • Jannis Panagiotidis/Hans-Christian Petersen: Antiosteuropäischer Rassismus in Deutschland. Geschichte und Gegenwart, Beltz 2024
  • Antislawismus – Tausend Jahre Kolonisierung und Menschenjagd, edition lex liszt 12, 2024
  • Jannis Panagiotidis: Postsowjetische Migration in Deutschland, Beltz 2021
  • Saša Stanišić: HERKUNFT, Luchterhand 2019

Videos

Was ist eigentlich Antislawischer Rassismus?

  1. Jannis Panagiotidis/Hans-Christian Petersen: EXPERTISE. Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus, Mediendienst Integration 2023
  2. Jannis Panagiotidis/Hans-Christian Petersen: Geschichte und Gegenwart des antiosteuropäischen Rassismus und Antislawismus, Bpb 2022
  3. Jannis Panagiotidis/Hans-Christian Petersen: EXPERTISE. Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus, Mediendienst Integration 2023
  4. Daniel Kraft/Barbara Oertel/Uwe Rada/Anastasia Tikhomirova: Osteuropa. Impulse für die Bildungsarbeit, Baustein 13, Schule ohne Rassismus 2023
  5. EXPERTISE. Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus, Mediendienst Integration 2023
  6. Mark Terkessidis: Wessen Erinnerung zählt? Koloniale Vergangenheit und Rassismus heute, Hoffmann und Campe, 2019
  7. EXPERTISE. Antiosteuropäischer und antislawischer Rassismus, Mediendienst Integration 2023

Der neue Band „Antiosteuropäischer Rassismus in Deutschland. Geschichte und Gegenwart“ schließt eine wichtige Forschungslücke zum Themenfeld des „weißen Rassismus“.  Elf Kapitel fächern das Thema historisch und systematisch auf und bieten am Ende ein schlüssiges Plädoyer für eine Osterweiterung der Rassismusdebatte. 

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