Stereotype sind erlernte Vergleichsmuster bzw. griffige Zusammenfassungen von Eigenschaften oder Verhaltensweisen, mit Hilfe derer wir uns orientieren. Stereotype sind aber leider auch die Grundlage von Vorurteilen, Diskriminierungen und Stigmatisierungen.
Schubladen im Kopf
Stereotype hören sich erst mal Vermeidens Wert an. Dennoch können wir nicht ohne sie. Es ist die Art, wie wir denken, bzw. wie unser Gehirn funktioniert. Stereotype gehören zu den Ordnungsmechanismen unserer Wahrnehmung.
Unser Gehirn kann 11 Millionen Informationen gleichzeitig aufnehmen. Nur 40 werden uns maximal bewusst. Die Eindrücke und Informationen prasseln in unser Gehirn. Bilder, Gerüche, Töne …
Um eine Ordnung in die gesammelten Informationen zu bringen und besonders, um sie dann später auch schnell wieder zu finden, macht unser Gehirn das, was wir dann auch im Computer machen – kategorisieren! Im Computer legen wir Ordner an, in denen wir dann zusammengehörige Informationen unter Schlagworten zusammenfassen.
Auch unser Gehirn legt solche Ordner oder Schubladen an. Diese Ordnungskategorien nennen wir Stereotype. Unter einem Begriff ist damit dann eine Beschreibung von Personen oder Gruppen, die einprägsam und bildhaft ist abgespeichert.
Stereotype sind Skizzen der Realität
Allerdings bilden nicht alle Informationen, die wir über einen Menschen oder eine Gruppe haben, dieses Vergleichsmuster. Damit wir uns unter einem Schlagwort, sagen wir “Bayer”, schnell etwas vorstellen können, werden zunächst einmal vereinfachte und als typisch behauptete Sachverhalte als Bilder und Informationen aufgerufen.
Stereotype sind also Vergleichsmuster, die alles andere als vollständig sind. Es geht hier vor allem um einen schnellen skizzenhaften Eindruck, um blitzschnelle Bilderassoziationen, die einen hohen Widererkennungswert haben. Dabei ist die Kategorisierung von Personen anhand bestimmter Merkmale (wie z. B. Haare, Hautfarbe, Alter, Geschlecht) ein für Menschen völlig normaler, schnell und nahezu automatisch ablaufender Prozess.
Stereotype können uns helfen
Stereotype sind damit immer auch eine Verallgemeinerung und Vereinfachung komplexer Phänomene, die schnelle Orientierung bieten. Wurden wir als Kind einmal von einer Wespe gestochen, so speichern wir die gelb-schwarz gestreiften fliegenden Insekten als gefährlich ab. Selbst eine harmlose Schwebefliege, die sich nur mit den Farben der Wespe schützt, ruft in unserem Gehirn ein Achtungszeichen auf. In Sekundenschnelle ordnet unser Gehirn das Tier aufgrund seiner äußerlichen Eigenschaften der Kategorie “gefährlich” zu.
Oder nehmen wir an, in einer Arztpraxis kündigt uns die Schwester an, dass gleich ein Praktikant kommen wird, um unsere Blutprobe entgegen zu nehmen. Nach längerem Warten tritt plötzlich ein älterer Herr mit weißen Haaren, einer Brille und einem weißen Kittel ein. Was denken Sie? Ist das der Praktikant? Vermutlich nicht. Wir haben unter der Kategorie “Praktikant” eine andere Vorstellung abgespeichert. So werden wir vermutlich eine junge Person erwarten. Wir haben ein Stereotyp von “Praktikant” und von “Arzt” und das ist auch oft gut so. Mit Hilfe der Stereotype treffen wir auf Menschen, die wir noch nie zuvor gesehen haben und können sie dennoch einordnen.
Verallgemeinerungen ignorieren Einzigartigkeit
Wo liegt denn dann aber das Problem der Stereotype? Vor allem darin, dass die Vergleichsmuster eben grobe Generalsierungen sind und der Realität von Menschen und Persönlichkeiten damit oft nicht gerecht werden. Eine Skizze hilft, um einen ersten Eindruck zu bekommen, aber sie ist eben auch stark vereinfacht, starr und fehlerhaft. Nehmen wir nur noch einmal die stereotype Vorstellung eines bayrischen Bürgers. Ja, stellen Sie sich mal einen vor! Hatte er eine schwarze Haut? Hatte er lange schwarze Haare? Trug er einen Turban oder vielleicht ein Kopftuch? Saß er im Rollstuhl oder hatte er ein Skateboard in der Hand? Wenn nicht, warum denn nicht? All das können äußerliche Attribute eines bayrischen Bürgers sein. Zugegebener Maßen, umfasst das Stereotyp allerdings oft nicht diese Bandbreite an (äußerlichen) Möglichkeiten, ein echter Bayer zu sein. Das führt dann leider dazu, dass wir viele echte Bayern nicht als solche erkennen. Ja vielleicht fragen wir sie sogar, wo sie nun wirklich herkommen und wollen eigentlich hören, dass sie uns sagen: “Meine Eltern kommen aus …”.
Stereotype müssen in ihrer Einfachheit fehlerhaft sein und werden damit der Komplexität von Menschengruppen und Identitäten nicht gerecht. Oft sind es Stereotype und Schubladen im Kopf, die uns hindern, Menschen in ihrer wundervollen Einzigartigkeit anzuerkennen. Denn diese Einzigartigkeit ist es, die dem Prinzip des Stereotyps wiederspricht, denn es möchte verallgemeinern!
Einzelne werden über die Gruppe definiert
Mit Hilfe von Stereotypen werden einzelne Menschen über eine Gruppe definiert. Jean ist dann bei der internationalen Jugendbegegnung eben nicht nur ein jugendlicher Musiker aus Lisieux, sondern für viele erst mal der Franzose. Er hat damit zunächst mit den Stereotypen und Vergleichsmustern zu tun, über die er für die anderen kategorisiert ist. Wie? – er trinkt nicht gerne Wein? Oh la la … aber ein Charmeur ist er wahrscheinlich schon? Was? – und so gut englisch spricht er? … mag er Frösche?
Das unsere schubladenhaften Verallgemeinerungen zu seltsamen Schlüssen gegenüber Menschen führen führt uns diese Fotocollage vor Augen.
Welche Funktion haben Stereotype?
Stereotype ermöglichen uns, Fremde rasch als unverwechselbare Individuen wahrzunehmen.
Mahzahrin R. Banaji und Anthony G. Greenwald in ihrem Buch: Vor-Urteile.
Das Zitat der Forscher:innen mag verwundern. Aber tatsächlich hat der Mensch die Fähigkeit nicht nur ein persönliches Merkmal wahrzunehmen (z.B. die Hautfarbe) und dementsprechend auf Stereotype zurückzugreifen. Er ist in der Lage sechs oder mehr Merkmale gleichzeitig wahrzunehmen (Größe, Alter, Geschlecht, usw.) und daraus geistige Bilder vieler verschiedener Kategorien von Menschen zu erzeugen. Eine Meisterleistung!
Stereotype verhindern den offenen Blick
Unsere Wahrnehmung und unser Lernen werden durch Stereotype allerdings oft auch behindert. Manche gehen gerade auf Reisen nur auf die Suche nach der Bestätigung von Stereotypen. Für Überraschungen und die Differenzierung bleibt bei kurzen Pauschalaufenthalten ja oft auch keine Zeit. Das und unsere fertigen “Vor-Bilder” bei der Entdeckung eines anderen Landes etwa im Weg stehen können, darauf hat diese Werbung der französischen Bahn sehr bildlich verwiesen: “Es ist Zeit zu schauen, was hinter ihren landläufige Meinungen steckt”:
Stereotype sind gefährlich!
Stereotype können sehr verletzend sein. Rassismus, Sexismus, Homofeindlichkeit … alle Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, alle Abwertungen bedienen sich der Stereotype. Aus Stereotypen entstehen Vorurteile und handfeste Diskriminierungen. Oft liegen schon den Bildzusammenstellungen der Stereotype rassistische Vorstellungen oder Informationen zugrunde.
So zeigt z.B. dieses Wirtshausschild im Elsass die stereotype Darstellung eines schwarzen Menschen. Halb nackt und mit einfachen Waffen ist er so dargestellt, wie ihn die europäischen Kolonialisten gesehen und beschrieben haben. Dazu kommt dann noch der Name des Gasthauses, der deutlich macht, dass das Stereotyp nicht besonders schmeichelhaft gemeint ist: “Zum wilden Mann”.
Ein weiteres Beispiel, wie die skizzenhafte Vereinfachung eines Stereotyps zur Diskriminierung führen kann haben wir im Nationalsozialismus gesehen. Hier nur ein paar Striche, die einen sehr hohen Wiedererkennungswert haben:
… und hier die antisemitische Kampagne der Nationalsozialisten, die Pogrome und den Holocaust befeuert hat. Auch Sie arbeitet stark mit bildhaften (diffamierenden) Vereinfachungen und nutzt damit den Mechanismus von Stereotypen für ihre eigene Propaganda:
Single Story
In ihrem berühmten TED-Talk erklärt Chimamanda Adichie, wie unvollständige Geschichten zu Stereotypen werden können und warum das ein Problem ist …
Stereotype über Menschengruppen
Auch wenn der Mechanismus in unserem Gehirn genau dazu da ist, Verallgemeinerungen zu treffen, müssen wir uns das immer wieder ins Bewusstsein rufen.
Wir können nicht frei sein von Stereotypisierungen. Aber wir können lernen, uns dieser Mechanismen bewusst zu werden. Wir können lernen, dem ersten Eindruck nicht zu trauen und uns Menschen langfristig nicht über Kollektive zu erklären, sondern eine Offenheit für das individuelle, das Einzigartige zu entwickeln. Die Auseinandersetzung mit Stereotypen und damit verbundenen Mechanismen unser Einstellungsbildung, wie etwa dem Vorurteil oder der Diskriminierung kann dazu beitragen, das wir uns besser verstehen und unsere Einstellung aktiv mitsteuern können.
Stereotype Bilderwelten
Auf den folgenden Unterseiten habe ich stereotype Bilder thematisch geordnet. Sie eignen sich in der Bildungsarbeit, um das Phänomen der Stereotype zu verstehen und um darüber ins Gespräch zu kommen:
Stereotype Herkunft Stereotype Hautfarben Stereotype Gender
Literatur zu Stereotypen
- Jens Förster: Schublade auf, Schublade zu. Die verheerende Macht der Vorurteile, Droemer 2020
- Lars-Eric Petersen (Herausgeber), Bernd Six (Hrsg.): Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen, BELTZ 2020
- Mahzarin R. Banaji/Anthony G. Greenwald: Vor-Urteile: Wie unser Verhalten unbewusst gesteuert wird und was wir dagegen tun können, dtv 2015