Vorurteile sind Bewertungen von Menschen oder Menschengruppen ohne ausreichende Tatsachenprüfung. Vorurteile basieren auf stereotypen Schubladendenken und können zu nicht gerechtfertigten Diskriminierungen führen.

Vorurteile sind wichtige Bewertungen

Vorurteile sind ein wichtiger Teil unserer Einstellungsbildung und enorm wichtig für unsere Orientierung in einer Welt voller neuer Informationen.

Wie Stereotype gehören Vorurteile zur psychischen Ökonomie. Das mentale Operieren mit Stereotypen vereinfacht, entlastet in der reizüberflutenden Informationsfülle. Vorurteile helfen uns blitzschnell Entscheidungen zu treffen und raten uns unbekannten Menschen zu ver- oder zu misstrauen. Grundlage für die Bewertungen sind unsere Stereotype. Unser Gehirn speichert Erinnerungen und Erfahrungen in Kategorien, die man sich als Schubladen im Kopf vorstellen kann.

Vor-Urteile – nach bestehender Aktenlage

Auf die Informationen in den Stereotypen-Schubladen greift unser Gehirn zu, wenn schnell eine Bewertung eines unbekannten Menschen gefordert ist. Je nach dem, welche Informationen die Schubladen enthalten, gelang unser inneres Gericht zu einem positiven, oder negativen Urteil. Diese schnelle Bewertung, dieses Urteil ist ein Vor-Urteil, weil wir den Menschen ja nur nach “Aktenlage” beurteilt haben, ohne ihn anzuhören und die Übereinstimmung der Stereotype mit der konkreten Persönlichkeit zu prüfen.

In der folgenden Modelldarstellung ist die Vorurteilsbildung mit einem Herzen dargestellt. Damit möchte ich deutlich machen, dass Vorurteile die emotionale Komponente der Einstellungsbildung ist, die auf die kognitive Komponente (Stereotype) folgt.

Modell Vorurteilsbildung

Hilfreiche Schnell-Gerichte in unserem Kopf

Immer wieder treffen wir auf unbekannte Menschen. Innerhalb von Sekunden haben wir ein Gefühl zu ihnen. Wirken sie vertrauenswürdig, angenehm oder machen sie uns Angst, wirken sie gefährlich? Soll ich Nachts die Straßenseite wechseln oder diese Person nach dem Weg fragen? Traue ich dieser Neuen die Mitarbeit in unserem Team zu oder bin ich skeptisch? Wirkt der neue Nachbar nett oder mache ich mir Sorgen?

Vorurteile werden unbewusst erstellt, unvermeidlich auf Grund der neurologisch nachgewiesenen Bildung eines Durchschnitts aller Erfahrungen im Gehirn. Vorurteile können auf die Schnelle hilfreiche Ratgeber sein, langfristig ist allerdings eine Tatsachenprüfung notwendig.

Ein Vorurteil stellt daher im besten Fall zunächst  nur ein vorläufiges Zwischenergebnis während der Entwicklung eines endgültigen Urteils dar. Es baut sich eine Modellvorstellung auf, und nach erneuter Prüfung zu einem endgültigen Urteil um. Da wir in unseren längerfristigen Urteilen aber zumeist nur unsere Sichtweise wiedergeben und Urteile fast immer gewisse Verallgemeinerungen enthalten, gilt auf der anderen Seite auch, dass in jedem Urteil Momente des Vorurteilshaften zu finden sind.

Aufwertende Vorurteile

Vorurteile sind nicht notwendigerweise abwertend. Zu den aufwertenden Vorurteilen können die Sicht des Verliebten auf die Geliebte, der Blick auf die eigene Nation oder das Vertrauen eines kleinen Kindes in die unbegrenzten Fähigkeiten und Kräfte der Eltern gezählt werden.

Abwertende Vorurteile

Vorurteile sind jedoch oft negative oder ablehnende Einstellungen gegenüber einem Menschen, einer Menschengruppe, einer Stadt oder Gemeinde, einer Nation oder generell einem Sachverhalt. Vorurteilsbildung wird als “Übergeneralisierung” interpretiert, bei der unzulässiger Weise von einzelnen Eigenschaften eines Individuums auf Eigenschaften aller Individuen einer Gruppe geschlossen wird. Vorurteile besitzen einen emotionalen Gehalt und treten als deutliche, stereotype Überzeugungen auf. Sie implizieren oft negative Gefühle und Handlungstendenzen und können zu Intoleranz und Diskriminierung oder diskriminierenden Handlungen führen.

Vor-Urteile sind oft fehlerhaft

Wie in auf der Seite der Stereotype beschrieben, sind Stereotype als unsere Grundlage von Vor-Urteilen bereits schon grob, verallgemeinernd und fehlerhaft.

Diese im Laufe unserer Erziehung gelernten Kategorien sind nämlich nicht objektiv oder neutral, sondern schließen bereits Wertungen ein, die wir dann auf die kategorisierten Menschen übertragen. Haben wir immer nur schlechtes von der Linus-Schule gehört (vielleicht, weil sie in Konkurrenz zu unserer Schule gesehen wird), kann es ein neuer Schüler aus eben dieser Schule bei uns in der Klasse zunächst einmal ziemlich schlecht haben.

Oder mein neuer Kollege ist Muslim, auch hier werde ich vielleicht bemerken, dass meine Einstellung viel mit meinem Vorwissen (Kenntnisse? Freundschaften? Medienbilder etc.) zu tun hat. So wie die Vereinfachung in Stereotypen der Vielfalt und Komplexität der kategorisierten Peron nicht gerecht wird, so werden auch die Bewertungen und Vorurteile, des Gegenübers auf dieser wackligen Basis der Verallgemeinerungen der Realität nicht gerecht.

Vorurteile sind ungenaue Pauschalurteile

Fußballspieler sind sportlich scheint ein zutreffendes Vor-Urteil zu sein. Es wird aber sofort unzutreffend, wenn man es auf ein beliebiges Individuum aus dem Kreis der Fußballspieler bezieht. So ist vielleicht Thomas im Verein und der ist unsportlich. Und nur, weil er nachher gerne ein Bier mittrinkt, meldete er sich im Club an und läuft seitdem ächzend und glücklos hinter dem Ball her. So ist es vielleicht auch nicht falsch zu sagen, dass Fußballspieler sportlich sind (denn Fußball ist ja ein Sport), aber aus dem Fakt, dass Thomas Fußball spielt zu schließen, er sei sportlich, funktioniert eben nicht automatisch.

Die Übertragung vom Kollektiv auf das Individuum hat eine sehr sehr hohe Fehlerquote, allein, weil ein Individuum mehreren Kollektiven angehört (Multikollektivität). Zudem ist ein Individuum und die Bildung seines Charakters zu komplex, als dass eine Gruppenzugehörigkeit (Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, Sportart etc.) schlüssige Aussagen über Charakter und  Merkmale zuließen.

Gefahr von Vorurteilen

Vorurteile sind nicht nur fehlerhaft und ungenau, sondern sie können Verletzen und Töten. Vorurteile weisen Menschen zurück, können sie beleidigen, ihnen Würde und Vertrauen absprechen. Vorurteile bewerten Menschen nicht negativ weil sie es verdient haben, oder weil sie böse Menschen sind, sondern nur, weil sie in einer Schublade stecken und nicht als Person, sondern über allgemeine Erfahrungen oder Nichterfahrungen eingeordnet und danach vor-verurteilt werden.

Vorurteile können töten

In dem Film 12 angry Men (dtsch. die Geschworenen) geht es um eine Jury von Geschworenen, die relativ schnell entscheiden möchte, den Verurteilten zum Tode zu verurteilen. Die Entscheidung kommt nicht zustande, da ein Mitglied das einstimmige Todesurteil ablehnt und eine Untersuchung anregt. Bei der Untersuchung stellt sich heraus, dass es vor allem Vor-Urteile (u.a. Rassismus, Klassismus) und unhinterfragte Annahmen waren, die die Einzelnen Männer zu ihrem Urteil geführt hat. Die Hinterfragung der einzelnen Annahmen und Vor-Urteile führt die Protagonisten schließlich gemeinschaftlich zu dem Urteil: “nicht schuldig”.

Der Film illustriert die Macht von Vorurteilen, gerade vor Gericht. Genocide sind das traurige Beispiel dafür, dass Menschen nicht aus individuellen Gründen, sondern aufgrund von Abneigungen gegen eine ihrer Gruppenzugehörigkeiten verfolgt, gefoltert und ermordet wurden. Genocide Watch dokumentiert diese Verbrechen mit einer Liste der Genozide seit 1945. Sie verzeichnet Millionen von Opfern seit dem Ende des Holocaust  Welches Gruppenidentität jeweils bei Massakern und Ermordungen als Begründung herangezogen wurde,  ist der Liste zu entnehmen. Aber ob die Genozide nun aus ethnischen, religiösen, oder politischen Gründen erfolgten, die Basis sind immer kollektive Vorurteile, die zu gewaltvollen Abwertungen und tätlichen Diskriminierungen führen.

Mechanismen der Vorurteilsbildung

Vorurteile bestätigen sich selbst

Die Wahrnehmung der Welt nicht mit der Welt identisch. Stereotype geben nicht Urteile über eine Realität wieder, sondern schaffen eine neue Realität. Sie leiten die Wahrnehmung in eine bestimmte Richtung, sie sind ein Filter, eine verzerrende Brille, durch die wir die Realität sehen. Was ihnen entspricht, wird wahrgenommen, was ihnen widerspricht, wird ignoriert.

Jeder weiß, dass wenn wir etwas bestimmtes im Kopf haben unsere Wahrnehmung sich dementsprechend fokussiert. Suche ich gerade nach einem geeigneten Wohnmobil für meinen nächsten Urlaub, sehe ich plötzlich überall Wohnmobile. Ähnlich ist es auch mit Vorstellungen zu Menschengruppen. Bin ich der Meinung, dass die Jugend von Heute wirklich nur noch vor dem Mobiltelefon hängt, so nimmt meine Wahrnehmung genau das wahr. Nach dem Prinzip der selektiven Wahrnehmung wird diese Wahrnehmung permanent bestärkt, indem Informationen je nach ihrer Übereinstimmung mit oder Widersprüchlichkeit zu bereits bestehenden Vorstellungsmustern unterschiedlich wahrgenommen und verarbeitet werden. Informationen die davon abweichen, also Jugendliche, die gerade Sport treiben, werden dabei ignoriert oder derart verzerrt wahrgenommen, dass sie mit meinen etablierten Vorstellungen wieder im Einklang stehen.

Selbsterfülllende Prophezeihung

Eine selbsterfüllende Prophezeiung ist ein Prozess, bei dem die erkennbar gewordenen Erwartungen anderer Menschen von einer Person dazu führen, dass sich diese entsprechend den Erwartungen verhält. Bin ich der Meinung, der neue Nachbar ist unfreundlich, kann in der Begegnung mit ihm meine eigene Art schon so abweisend wirken, dass er dementsprechend unfreundlich reagiert. In seiner Reaktion, sehe ich dann meine “Vor-Annahme”, bzw. mein “Vor-Urteil” bestätigt.

In einem Experiment wurden Bewerbungsgespräche weißer Bewerbungsleiter von den Versuchsleitern beobachtet. Waren die Bewerber POC’s (People of Color), saßen sie bei den Gesprächen weiter entfernt vom Bewerbungsführer, zudem versprach sich dieser öfter und beendete die Gespräche ca. 25% eher als bei weißen Applikanten. In einer zweiten Phase des Experiments wurde der echte weiße Bewerbungsleiter durch einen Schauspieler ersetzt. Dieser wurde angewiesen, sich gegenüber weißen Bewerbern in genau der gleichen Weise zu verhalten, wie sich der echte Leiter vorher gegenüber den POC’s verhalten hatte. Das Ergebnis war, dass die weißen Bewerber verstärkt Unsicherheit und Ängstlichkeit im Verhalten zeigten. Das Experiment weisst darauf hin, dass Vorurteile gegen Menschen auch dazu führen können, dass sich diese ungewollt entsprechend den Vorurteilen verhalten.

In einer anderen Untersuchung beobachteten Versuchspersonen einen Mann in einer Videoaufnahme. Wurde ihnen vorab die Information gegeben, es handele sich um einen „Krebspatienten“ oder einen „Homosexuellen“, dann beobachteten die Personen ihn schärfer auf diese Zuschreibung hin und meinten, bestimmte Verhaltensweisen, die die angebliche Eigenschaft widerspiegelten, zu erkennen.

Funktion von Vorurteilen

Oft wird vermittelt, dass sich die falschen oder fehlerhaften “Vor-Urteile” durch die Begegnung  mit den Betreffenden oder gesicherte Informationen über die Personen bzw. die Gruppe abbauen ließen und dass darin der Fokus einer Auseinandersetzung mit dem Thema liegen müsse. dabei wird die Frage nach der Entstehung von Vorurteilen und ihrer Funktion für das Individuum selbst sowie die Bedeutung von Vorurteilen auf der gesellschaftlichen Ebene weitestgehend ausgeblendet. Im folgenden daher ein Überblick, warum Menschen und Gesellschaften Vorurteile benutzen, sich an ihnen orientieren und auch langfristig daran festhalten.

Orientierungssuche

Vorurteile sollen zur Verhaltenssicherheit in Situationen der Unsicherheit beitragen. Das Gehirn versucht daher eine schnelle Bewertung und eine klare Kategorisierung in IN-und OUT-Group, Eigen- und Fremdgruppe, WIR und IHR herzustellen. Immer wieder ist zu beobachten, dass Menschen, die wenig gereist sind, zu Beginn von längeren Auslandsaufenthalten sehr stark von Vorurteilen geprägt sind und diese klaren Kategorisierungen auch enorm verteidigen, so grob und unlogisch sie auch sein mögen. Es erinnert ein bisschen an kleine Kinder, die sich gerade ihrer sexuellen Identität bewusst geworden sind und die ihre Eltern dann mit einem sehr starren Kategorie-Verständnis (was ein Junge/Mädchen macht und tut) überraschen. In beiden Fällen ist das Klammern an die einfache Sicht der Welt durch grobe Vorurteile ein Versuch Komplexität und Unsicherheit zu bewältigen.

Angst vor dem Unbekannten

Ein Voraus-Urteil, kann normalerweis durch Erfahrungen und eine breitere Wissensbasis korrigiert werden. Wird an ihm dennoch festgehalten, so hat es als Vorverurteilung häufig die Funktion, ein bestimmtes Welt- und Selbstbild zu stabilisieren, um Verunsicherungen oder Ängste abzuwehren.

Stereotype sind stark von der Persönlichkeitsstruktur der Individuen abhängig. Menschen mit steifen Persönlichkeitszügen (z.B. fixe Gewohnheiten und eine niedrige Toleranzschwelle, wenn die tägliche Routine durchbrochen wird etc.) tendieren eher zu Stereotypen als offene Menschen.

Ein interessantes Belegbeispiel dafür, bietet ein 1938 von dem Psychologen Eugene Hartley mit 144 College Studenten der Columbia University in New York durchgeführtes Experiment.1

Dabei wurden die Studenten gebeten einen Fragebogen zu 35 Ethnien, 7 religiösen Gemeinschaften und 7 politischen Gruppen auszufüllen und auf einer Skala von „nicht ins Land lassen“ bis „durch Heirat als Familienmitglied akzeptieren“ anzugeben, wie viel Vertrauen sie den diversen Landsleuten entgegenbrachten. Die von Hartley in den Fragebogen geschummelte und völlig fiktive Landsgruppe der „Danerianer“ schrammte in ihrer Beliebtheitsskala dabei nur knapp an der kompletten Ausgrenzung vorbei. Das Ergebnis dieses Experiments zeigte, dass nationale Fremdbilder umso negativer sind, je weniger Informationen man über die Fremdgruppe besitzt.

Weiter stellte sich aber auch heraus, dass die Personen, die besonders negativ über die Fantasie-Nation urteilten, auch kein gutes Haar an den realen Kontrollgruppen ließen. Daraus schloss Horowitz, dass Vorurteile nichts mit den realen Eigenschaften der Gruppen zu tun haben, sondern vielmehr das Resultat einer grundsätzlich intoleranten Persönlichkeit des Urteilenden seien. Dabei ist ein Faktor der Intoleranz oft die Angst vor der eigenen Befremdung und dem damit empfundenen Gefühl der Unsicherheit. Menschen in prekären Situationen zeigen daher auch eine verstärkte Vorurteilneigung.

In Deutschland besteht die größte Fremdenfeindlichkeit in den Regionen des Landes, in denen am wenigsten Menschen mit Migrationshintergrund leben.

je weniger Kontakt, desto größer die Vorurteilsneigung

Diese Erkenntnis ebnete den Weg für die sogenannte Kontakthypothese – die Idee, dass der Kontakt zwischen Gruppen den Menschen ihre grundlegende Ähnlichkeit offenbaren und so zu einem Abbau von Feindseligkeiten führen würde. Heute ist klar, dass die Sache komplizierter ist. Kontakt zwischen Gruppen allein führt nicht automatisch zu weniger Vorurteilen, kann aber zum Abbau von Vorurteilen beitragen.

Mitglieder fremder Gruppen werden nicht nur stereotyper, sondern im Positiven wie im Negativen auch extremer beurteilt, da wir weniger über sie wissen als über die Eigengruppe.

Machtlosigkeit und Ohnmacht

Die Unfähigkeit durch eigenes Handel Sicherheit zu gewinnen stärkt die Tendenz, zu illusionären Mitteln zu greifen und Identifikationen mit machtvollen Gruppen zu suchen. Der Mechanismus erinnert an einen Schuljungen, der in der Schule gemobbt wird und der sich daher vorstellt, Superkräfte zu haben und seine Peiniger vom Schulhof fegen zu können. Vielleicht schließt er sich auch einer Gruppe an, die ihm Schutz bietet und die ihm stark erscheint. In der Welt der Erwachsenen müssen Ohnmacht und das Gefühl der Machtlosigkeit zu den gefährlichen Ursachen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gezählt werden, so Wilhelm Heitmeyer in seiner Studie “Deutsche Zustände” über den Zusammenhang zwischen sozialen und ökonomischen Verhältnissen und der Entwicklung von Vorurteilen gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten in Deutschland.

So reagieren Menschen auf abstrakte Bedrohungen, wie Katastrophen, Wirtschaftskrisen oder Arbeitslosigkeit , deren Ursachen schwer greifbar und noch weniger kontrollierbar erscheinen oft mit einfachen und verkürzten Erklärungen, wie “die Ausländer nehmen unsere Arbeit weg” oder “wir können uns die Langzeitarbeitslosen nicht mehr leisten”.

Konflikte um Ressourcen

Gibt es Konflikte um Ressourcen, wächst auch die Neigung zu Vorurteilen und Diskriminierung. Carl Hovland und Robert Sears haben 1940 gezeigt, dass es eine signifikante Korrelation zwischen dem Baumwollpreis und der Anzahl an Lynchmoden an Schwarzen in den USA gab.

Ressourcen-Konflikte erhöhen Vorurteilsneigung

Baumwolle war damals das bei weitem wichtigste Erntegut in den Südstaaten. Wie es der Baumwolle ging, so ging es auch der Wirtschaft. Ging es der Wirtschaft schlecht, gab es eine Ressourcenknappheit in Bezug auf Arbeitsplätze und ökonomischen Wohlstand, so stieg die Gewalt gegen Afro-Amerikaner.

Ein anderes Beispiel sind die wechselhaften Zuschreibungen und Bewertungen von Menschen aus China in den USA.2 Die folgende Tabelle zeigt, dass immer dann, wenn die chinesischen Arbeiter als Konkurrenz wahrgenommen wurden, die Zuschreibungen ins Negative kippen.

Wandel der Zuschreibungen von Chinesen in Amerika im 19. Jahrhundert
Bild zeigt Text: Arbeit nur für Deutsche

Mit Arbeitslosigkeit (Ressource Arbeit) oder in Wirtschaftskrisen (Ressource Wohlstand) steigt auch das Vorkommen an  Vorurteilen und Diskriminierungen. Dabei müssen Ressourcenkonflikte objektiv nicht existieren, es reicht das subjektive Empfinden. Grund für den Anstieg der Vorurteilsneigung bei Ressourcen-Konflikten ist neben der Angst um Verluste oder der Wettbewerbsniederlage wiederum die Frustration über die eigene ökonomische Lage und Erfolgslosigkeit, die dann Fremdgruppen nach dem Sündenbock-Prinzip zugeschrieben werden.

Die Sündenbocktheorie besagt, dass sich unsere Vorurteile gegen Ersatzobjekte oder -personen richten, wenn die wahren Ursachen unserer Frustration entweder unbekannt oder nicht erreichbar sind. So beobachtete man in Kanada, dass Vorurteile gegenüber Immigranten mit der Arbeitslosenquote stiegen und fielen. Rechtsextreme Parteien, wie die NPD, nutzen auch in Deutschland in wirtschaftlich schwachen Regionen die Ängste der Menschen vor Arbeitslosigkeit und fordern eine nationale Bevorzugung (siehe Werbeplakat).

Stärkung des Selbstwertgefühls

Nach Theorie der sozialen Identifizierung von Tajfel und Turner macht die Eigengruppe einen wichtigen Teil unseres Selbstkonzeptes aus. Unser Selbstwertgefühl speist sich dann nicht nur aus persönlicher Leistung (“Genugtuung”), sondern es wird auch durch Gruppenleistungen angereichert. Man entwickelt somit ein Vorurteil über sich selbst. Menschen der relevanten Eigengruppen bewerten wir tendenziell in Vor-Urteilen eher positiv. So kann es sein, dass ich bei einer neuen Seminargruppe denjenigen Teilnehmer zunächst den anderen vorziehe, der auch aus meiner Heimatstadt kommt.

Vorurteile gegen Fremdgruppen dienen in dem Zusammenhang auch dazu, das eigene Selbstwertgefühl zu erhöhen. Der Mechanismus ist einfach, in dem ich die Fremdgruppen um mich herum kleiner mache, wirkt meine eigene Gruppe (mit der ich mich identifiziere) automatisch größer. Die folgende Grafik zeigt das in einem optischen Experiment. Obwohl die Kreise 1 und 2 gleich groß sind, wirkt 1 jedoch größer, da die umliegenden Kreise kleiner sind.

Wahrnehmungsvergleich Vorurteile

Bezeichne ich “die Deutschen” als fleißig und ordentlich dann sind die anderen Nationen automatisch “faul und unordentlich” oder zumindest “fauler als die Deutschen”. Wenn Männer über Frauen Witze machen und Vorurteile austauschen, so geschieht das oft, um das eigene Geschlecht zu huldigen und sich selbst aufzuwerten. Malteser machen Witze über die Johanniter und fühlen sich besser, so wie die Kölner sich an Sprüchen über die Düsseldorfer hochziehen … Immer geht es um das schöne Gefühl, auf der Seite der Guten, der Besseren, der Gewinner zu stehen. Teilhabe an der Macht auf Kosten anderer … Selbstaufwertung durch Abwertung von anderen …

Das Bild zeigt einen Aufkleber auf der Strasse. Zu sehen sind Fußballspieler und der Text: Scheiß St. Pauli

Vorurteile & Macht

Ebenso bedeutsam für ein Verständnis von Vorurteilen und ihrer Verbreitung, ist auch die Frage nach der „Macht der Zuschreibung“ d.h. die Reflexion über den Zusammenhang von Macht, Zugehörigkeit und der Durchsetzung der eigenen Sichtweise als vorherrschende und sozial geteilte Annahme.

Welche Bedeutung oder welches Ansehen mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe verbunden wird, ist eng verknüpft mit der Positionierung dieser in der hierarchischen Struktur der jeweiligen Gesellschaft. Sämtliche kleinere und größere Gruppenzusammenhänge (wie zum Beispiel verschiedene geschlechtliche oder ethnische Gruppen, Berufsgruppen oder auch Jugendcliquen) stehen in den herrschenden Strukturen in einem bestimmten Machtverhältnis zueinander.

Um Macht und Privilegien wahrnehmen zu können, kann es also durchaus funktional für die Einzelnen sein, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe durch die Abgrenzung und negative Bewertung wieder anderer zu erlangen. Vorurteile können (verbunden mit der Macht diese durchzusetzen) entsprechend auch als Rechtfertigungen dienen, um bestimmte Gruppen als nicht gleich berechtigt von gesellschaftlichen Prozessen auszuschließen und damit die Machtstellung der eigenen Gruppe zu erhalten oder auszubauen. Entsprechend können sie – zumeist als vorherrschende Sichtweisen, die kaum wirklich hinterfragt werden – auf der institutionellen und gesellschaftlichen Ebene die Basis für diskriminierende Verfahren und Gesetze darstellen.

Auf dieser Ebene sind Bilder und Annahmen über bestimmte (nicht der Mehrheit) angehörigen Gruppen als scheinbare Selbstverständlichkeit mit unserem Alltag verwoben und bestimmen wiederum unsere Sicht auf die Welt entscheidend mit.3

Funktionen von Vorurteilen auf der gesellschaftlichen Ebene

Und weil Vorurteile eben auch etwas mit Macht zu tun haben, gibt es neben den oben genannten Funktionen auf der subjektiven Ebene, auch auf der Ebene der gesellschaftlichen Bedeutungen funktionale Gründe für das Entstehen und Instrumentalisieren von Vorurteilen. Im folgenden seien einige Gründe für das Entstehen und den Gebrauch von Vorurteilen auf der gesellschaftlichen Ebene genannt.

Legitimierung von Herrschaft und sozialer Ungleichheit, Rechtfertigung der Ausgrenzung und Unterordnung von Minderheiten, Verschiebung von gesellschaftlichen Problemen durch Umdefinition, Ausklammern negativer Tendenzen im eigenen Land durch Zuschreibung auf andere Nationen und/oder kulturelle/ethnische Minderheiten, Behauptung einer Bedrohung von außen und Konstruktion von Feindbildern, um innere Probleme ohne Machtverlust zu “bewältigen”, Ausblenden von Widersprüchen und Gegensätzen innerhalb der eigenen Gruppe/Gesellschaft durch Betonung kultureller/nationaler Einheitlichkeit, usw. …

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Umgang mit Vorurteilen

Vielleicht ist deutlich geworden, welche Funktionalität Vorurteile für die Einzelnen, ihre Identitäten und Zugehörigkeiten im gesellschaftlichen Kontext erfüllen können und welche Zusammenhänge einem Abbau von Vorurteilen im Wege stehen können.

Eine Überwindung ist nicht möglich

Eine Überwindung von Vorurteilen erscheint damit nicht ganz so einfach. Zum einen, weil sie zu unserer Wahrnehmung gehören und blitzschnell in unserem Gehirn ablaufen, zum anderen, weil sie tief verwurzelt sind in subjektiven und gesellschaftlichen Realitäten von Unsicherheit, Ohnmacht, Angst, Machtstrukturen.

Dies heißt jedoch nicht, dass eine vorurteilsbewusste Haltung und eine damit verknüpfte Veränderung von Verhalten unmöglich sind. Grundlage eines bewussteren Umgangs mit Vorurteilen ist schon das Eingeständnis darin, dass wir alle von Stereotypen, Vorurteilen und Machtstrukturen geprägt sind und sein werden.

Vorurteilsbewusstsein

Ziel kann also nicht die “Befreiung von Vorurteilen” sein, sondern ein bewusster, verantwortungsvoller Umgang mit dem eigenen “Gepäck” und der eigenen Wahrnehmung. In einem langen und intensiven Prozess der Auseinandersetzung mit unseren eigenen Bildern, ihrer Herkunft, Inhalte und Bedeutung können wir uns dieser Herausforderung stellen und neue Perspektiven gewinnen. Wir können lernen dem ersten Eindruck nicht zu trauen, können eigene “Schnell-Urteile” erkennen lernen und diese kritisch hinterfragen. Wir können lernen uns Zeit zu nehmen und eine Einstellung entwickeln, die jedem Menschen grundsätzlich Vertrauen entgegen bringt.

Anti-Bias – bewusst gegen Einseitigkeiten

In dem Zusammenhang möchte ich zwei pädagogische Empfehlungen zur Selbstschulung im Bezug auf Vorurteile geben. Zum einen, den Anti-Bias-Ansatz, als ein Ansatz der antidiskriminierenden Bildungsarbeit und als Lebenshaltung. Der Ansatz kann, wie auch andere Konzepte (z.B. critical whiteness, oder social justice) die Prozesse des Vorurteilsbewusstseins entscheidend mit beeinflussen und unterstützen. Hier geht es jeweils darum, sich mit eigenen Einstellungen in Bezug auf Diskriminierungen intensiv auseinander zu setzen.

Meditation für Vorurteils-Achtsamkeit

Der zweite Hinweis bezieht sich auf eine “nicht-akademische” Auseinandersetzung mit Vorurteilen und zwar durch die buddhistische Meditation. In der Meditation geht es weniger um kognitive Konzepte von Vorurteilen und darum, sensibel für Diskriminierungsformen wie z.B. Rassismus oder  Sexismus zu werden, als vielmehr um die Schulung des eigenen Bewusstseins und des persönlichen Emotionsmanagements. Durch die Entwicklung einer geistigen Aufmerksamkeit und Achtsamkeit können negative Emotionen und Assoziationen als solche erkannt, benannt und damit auch bewusst bearbeitet werden. Hört sich für einige vielleicht erst einmal fremd und unwissenschaftlich an, ist aber m.E. viel hilfreicher und kritischer als viele sogenannte wissenschaftliche Ansätze, die selbst voll sind von unhinterfragten Denkmustern.

Literatur zu Vorurteilen

  • Lars-Eric Petersen (Herausgeber), Bernd Six (Hrsg.): Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung. Theorien, Befunde und Interventionen, BELTZ 2020
  • Mahzarin R. Banaji/Anthony G. Greenwald: Vor-Urteile: Wie unser Verhalten unbewusst gesteuert wird und was wir dagegen tun können, dtv 2015
  1. Schneider, Reto U.: Das Experiment – Immer diese Danieraner. In: Neue Züricher Zeitung, Folio 06/06. http://www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/b72d7ed8-3524-4c63-9cad-d47bc9897348.aspx, 27.12.2008
  2. Beispiel und Zahlen aus: Robin M. Akert,Timothy D. Wilson (2010): Sozialpsychologie, S. 509
  3. Anne Winkelmann: Anti-Bias-Werkstatt: Hintergrundtext 3: Zur Bedeutung und Funktionalität von Vorurteilen

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